Benedikt Bösel: »Rebellen der Erde«. Wie wir den Boden retten – und damit uns selbst

2016 hat Benedikt Bösel das »Gut Madlitz« im brandenburgischen Briesen von seinen Eltern übernommen. Zunächst plante der ehemalige Investmentbanker den 3.000 Hektar großen Land- und Forstwirtschaftsbetrieb mit Drohnen, Sonden und Software zu einem ›digitalen Bauernhof‹ umzurüsten. Doch dann kam alles anders. Im heißen Sommer 2018 stand er auf dem Acker. Seit Wochen hatte es nicht mehr geregnet. Alles war staubig und braun. »Es herrschte absolute Stille, kein Lüftchen, keine Vögel, keine Insekten.« Mit diesen Sätzen am Anfang seines Buches beschreibt Bösel sein Aha-Erlebnis, das ihn auf einen neuen Weg brachte: zum Boden.

Sein im Frühjahr 2023 erschienenes Buch beschreibt die Abenteuerreise eines Pioniers, der auf der Suche nach der Zukunft der Landwirtschaft auf alte Traditionen stößt, allen voran den Agroforst.

Agroforst führt die bisher getrennten Disziplinen Ackerbau, Holzproduktion und Tierhaltung auf der gleichen Fläche zusammen und nutzt die dabei entstehenden Wechselwirkungen. Die Grundannahme ist ebenso einfach wie überzeugend: Indem sie Muster aus der Natur übernimmt, versorgt die Bewirtschaftung nach Agroforst-Methoden die Böden mit ausreichend Nährstoffen. Mikroorganismen und Kleinlebewesen können gedeihen und sorgen für eine gesunde Anreicherung der Humusschicht – der Boden wird resilient.

Um mehr zu erfahren, nimmt Bösel Kontakt zu Forschern, Experten im Feld der Ökosysteme und Praktikern überall auf der Welt auf. Er recherchiert, schreibt und trifft auf Menschen wie Ernst Götzsch, ein Naturphilosoph aus der Schweiz, der seit vielen Jahren in Brasilien auf gerodeten Agrarbrachen an den Kreisläufen der Natur orientierte Ökosysteme schafft, die Böden aufbauen und die Humusschicht verbessern. Oder den Afrikaner Allan Savory, der durch sein ganzheitliches Weidemanagement Berühmtheit erlangte, bei dem Viehherden in Zyklen durch die Landschaft ziehen und so die Felder gleichzeitig düngen und auflockern.

Inzwischen gibt es im »Gut&Bösel« – so der neue Name vom ehemaligen Gut Madlitz – einige Flächen, die nach den Agroforst-Prinzipien aufgebaut sind: Große Anbauflächen werden durch Busch- und Baumreihen gegliedert, die Erosion verhindern, Wasser speichern und den Boden mit Humus versorgen. Integriert sind Obst-, Beeren- und Nusssorten, was zu einer größeren Vielfalt der landwirtschaftlichen Nahrungsmittelproduktion führt.

Viele der im Buch vorgestellten Ideen ähneln übrigens den ganzheitlichen Prinzipien der Streuobstwiese, einer Form des Anbaus, die bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts ganz selbstverständlich fast überall in Deutschland praktiziert wurde: Zwischen den ungeordnet stehenden Bäumen liefen Kühe und Schafe umher, Hühner pickten und in aufgestellten Bienenstöcken summte es.

Es ist nur konsequent, dass auch die Zusammenarbeit auf Gut&Bösel ganzheitlichen Prinzipien folgt. Zu den alteingesessenen Mitarbeitern, die Bösel aus der ökologischen Landwirtschaft seiner Eltern übernommen hat, kommen junge Mitarbeiter, Baumpfleger, Forscher, Agrarökonomen, Naturenthusiasten und freiwillige Helfer, die nicht selten mit einem Praktikum beginnen und dann als feste Mitarbeiter im Team landen. Nachmittags wird gemeinsam gegessen – im Sommer im Freien, im Winter im großen Saal des Gutshauses. Selbstverständlich kommen dabei die gutseigenen Produkte aus Feld, Wald und Wiese auf den Tisch.

Im letzten Kapitel beschreibt Bösel seine Vision. Aus landwirtschaftlicher Perspektive lässt es sich als Versöhnung mit den Berufskollegen werten und es enthält Vorschläge für ein neues Agrarfördersystem.

Mit Appellen an die Landwirtschaft, die Politik, die Wissenschaft und die Unternehmer fasst er sein Credo am Ende noch einmal zusammen:  Es geht darum, mit der Natur zu arbeiten statt gegen sie. Oder treffender noch: die Natur einfach machen zu lassen.

Unterm Strich:

Bösels Streitbare Thesen über die künftige Entwicklung der Gesellschaft und über eine bessere Landnutzung regen auf jeden Fall zur Diskussion an. Werden junge Menschen bald wirklich aus den Städten aufs Land flüchten? Ist der Beruf des Landwirts tatsächlich DER Beruf der Zukunft? Ist Agroforst tatsächlich die Antwort auf die globalen Herausforderungen der Landwirtschaft?

Darauf gibt es noch keine verbindlichen Antworten. Es lohnt sich aber sicher, »Gut&Bösel« weiter zu verfolgen.

Und von wegen »Kraut und Rüben« – spätestens mit »Rebellen der Erde« wird klar, dass diese abfällige Redewendung aus der Schmuddelecke in die Best Practice Ecke muss. Unbedingt!

Benedikt Bösel: Rebellen der Erde. Wie wir den Boden retten – und damit uns selbst, Scorpio Verlag, München 2023.